Wie sich Kinder Lern- und Gedächtnisstrategien aneignen
Wenn Kinder neun bis zehn Jahre alt sind, dann eignen sie sich
bestimmte Lern- und Gedächtnisstrategien an. Bis heute ist
umstritten, ob sich diese Strategien langsam herausbilden oder ob sie
sozusagen schlagartig entstehen.
Diese Frage wollen jetzt Psychologen von den Universitäten Würzburg
und Göttingen klären.
Wie eine im Alltag und in der Schule gut nutzbare Lern- und
Gedächtnisstrategie aussieht, erklärt der Würzburger Psychologe
Prof. Dr. Wolfgang Schneider:
Angenommen, man soll sich eine größere Anzahl von Objekten
einprägen, die bestimmten Oberbegriffen (etwa Fahrzeugen, Tieren
oder Möbelstücken) zuzuordnen sind. In diesem Fall hilft es fuer
das spätere Erinnern, wenn man die Objekte zunächst nach Kategorien
sortiert und sie sich dann nach Kategorien getrennt einprägt.
Diese Strategie bietet den Vorteil, dass man sich lediglich die
Oberbegriffe vor Augen führen muss, wenn man die gelernten Objekte
aus dem Gedächtnis abrufen will. Die zu den Kategorien gehörenden
Begriffe fallen einem dann mehr oder weniger automatisch ein, so
Prof. Schneider.
Solche Strategien bilden sich bei Kindern vielleicht langsam heraus. Möglicherweise werden
sie aber auch im Sinne eines
Alles-oder-Nichts-Prinzips verfügbar, so dass sie nach der ersten
spontanen und möglicherweise eher zufälligen Anwendung dauerhaft im
Verhaltensrepertoir verbleiben. Welche dieser Möglichkeiten
zutrifft, wird laut Schneider unter Wissenschaftlern kontrovers
diskutiert.
Weiterhin gebe es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob bei der
ersten Anwendung ein "Nutzungsdefizit" zu beobachten ist, das heißt
ob die Gedächtnisleistung der Kinder trotz der korrekten Verwendung
der Strategie nicht unmittelbar von dieser profitiert. Verfechter des Nutzungsdefizit-Ansatzes
gehen davon aus, dass die
Strategie bei der ersten Anwendung sehr viel mentale Energie und
Anstrengung erfordert, was den eigentlich zu erwartenden Ertrag des
strategischen Vorgehens vermindert.
Ein Forschungsprojekt soll diese Streitfragen jetzt klären. Es ist
geplant, etwa 100 Vorschulkinder aus Würzburg und Umgebung über
mehrere Jahre hinweg in regelmäßigen Abständen zu untersuchen und
dabei insbesondere Veränderungen in ihrem strategischen Verhalten zu
erfassen.
Dieses von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte
Langzeit-Projekt soll Hinweise auf die Art der Strategieentwicklung
liefern. Die Psychologen erwarten auch Informationen darüber, ob
einmal erworbene Strategien konsequent beibehalten oder auch wieder
aufgegeben
werden.
Um eine möglichst große Altersbandbreite zu erreichen, wird das
Projekt in Kooperation mit Prof. Dr. Marcus Hasselhorn vom Institut
fuer Psychologie der Universität Göttingen durchgeführt.
Er untersucht die gleichen Fragen im gleichen Zeitraum, aber an einer
anderen Altersgruppe, nämlich an etwa 100 Zweitklässlern. Auf diese
Weise wollen die Wissenschaftler den Verlauf der Strategieentwicklung
bei Kindern im Alter von fünf bis zwoelf Jahren genauer
dokumentieren.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Wolfgang Schneider, T (0931) 888-4822,
Fax (0931) 888-4891, E-Mail: schneider@psychologie.uni-wuerzburg.de
Quelle:
Pressemitteilung der Bayerischem Julius-Maximilians-Universitaet
Wuerzburg vom 30.10.2001